Es gibt jede Menge schöne Hobbies – warum engagieren Sie sich
freiwillig, unentgeltlich, zeitintensiv in einem Ehrenamt?
Ehrenamt fördert und erhält Gemeinschaft, in einer Zeit, in
der die Personalressourcen knapper werden, ist es an der
Zeit, dass Menschen sich freiwillig einbringen, um Kirche und
Gemeinde vor Ort weiter wachsen, sich entwickeln und bestehen
zu lassen. Da die verfasste Kirche wenig finanzielle
Ressourcen für Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung stellt
ist es mir sehr wichtig, mich gerade in diesem Bereich einzubringen.
Kinder und Jugendliche sollen in unserer Kirche ein
Zuhause haben und sich wohl fühlen, das habe ich selbst als
Kind erlebt und das möchte ich weitergeben. Es braucht eine
Gottesdienstpräsenz vor Ort, damit Kirche weiter relevant im
Ort bleibt, dafür setze ich mich ein.
Wir leben überwiegend in einer durchstrukturierten und sozial
abgefederten Gesellschaft – wozu braucht es da noch ehrenamtliches
Engagement?
Kirche braucht Ehrenamt mehr denn je. In der Kinder- und
Jugendarbeit sind so viele Stellen gestrichen worden, unsere
Kirchengemeinde hatte bis 2009 eine von der Landeskirche
bezahlte halbe Diakonenstelle, danach haben wir diese durch
einen Förderkreis selbstfinanziert und konnten Spendenmittel
einwerben. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass Kirche und
christlicher Glaube für Kinder und Jugendliche relevant bleibt,
müssen wir für sie da sein, das geht nicht nur hauptamtlich.
Kirche lebt auch von Vielfalt, in unserer Kirchengemeinde sind
wir sechs ehrenamtlich Predigende, jede/r gestaltet Gottesdienste
mit einem eigenen Akzent. Wenn wir hinterher noch
Orte schaffen wollen für Begegnungen für Jung und Alt, brauchen
wir Personen, denen das ein Anliegen ist, das geht nicht
nur mit einer Pastorin/einem Pastoren. Zudem erleben wir
Prozesse, die zwar eine pastorale Präsenz überall ein bisschen
ermöglichen, aber dass Vor-Ort-Präsenz, Verlässlichkeit und
Ansprechbarkeit deutlich in Frage gestellt sind. Hier können
wir als Ehrenamtliche vor Ort abpuffern und abfangen, damit
der Frust nicht zu groß wird und noch mehr Menschen austreten
aus der Kirche.
Was war der Auslöser für Ihr Engagement? Gab es für Sie ein
Schlüsselerlebnis?
In meiner Studentenzeit war ich Mitglied in der Studentenmission
Deutschland (SMD) in Tübingen. Diese Gruppe hat
gar keine hauptamtlichen Mitarbeitenden, es wurde alles
ehrenamtlich geleitet. Hier habe ich Menschen erlebt, die mich
motiviert und unterstützt haben, Gaben zu entfalten und mich
einzubringen, mir Dinge auch zuzutrauen. Darüber habe ich
gelernt, Verantwortung zu übernehmen und im Team zu arbeiten.
Das hat mich sehr im eigenen Glauben geprägt und mir
Mut gemacht, meine Gaben einzubringen.
Als zu COVID-Zeiten nicht gesungen werden durfte, habe ich
begonnen, in den Gottesdiensten für die Gemeinde Solo zu
singen und viele Gottesdienste und Andachten zu begleiten.
Wo engagieren Sie sich und seit wann?
In unserer Martinskirchengemeinde bin ich seit ca. 12 Jahren in
der Kinder- und Jugendarbeit aktiv, habe den Krippenspielchor
geleitet und viele Kinderangebote mit organisiert. Zweimal
durfte ich als Mutter den Vorkonfirmandenunterricht leiten
(KU4) und erleben, wie begeisterungsfähig, wach und interessiert
Kinder in dem Alter sind. In der aktuellen Vakanz im Pfarramt
und ohne Diakon unterstützte ich die KU4 Arbeit weiter.
Zudem gestalte ich sehr viele Gottesdienste mit, entweder als
Lektorin oder als ehrenamtliche Kirchenmusikerin.
Was müsste sich ändern, damit ehrenamtliches Engagement
noch besser funktioniert?
Wir erleben extrem viele bürokratische Hürden und Vorbehalte
gegen ehrenamtlich Tätige. Es besteht scheinbar immer noch
die Angst, dass wir den Hauptamtlichen „etwas wegnehmen“
könnten. Nur dass es die Hauptamtlichen gar nicht mehr in
der erforderlichen Menge gibt! Kirchenvorstände werde von
Formalia erschlagen und können sich nicht um Gemeinschaft
und Verkündigung kümmern.
Leitende Strukturen müssten näher an den Gemeinden sein,
um deren Nöte zu kennen und bürokratische Hürden abzubauen,
statt noch mehr zu reglementieren. Wer im Amt beginnt zu
arbeiten, müsste erst einmal Gemeindearbeit vor Ort kennenlernen.
In unserer Kirchengemeinde gibt es viele, die auf
Grund dieser bürokratischen Hürden und des starren Systems
bald aufgeben, weil Gemeinde vor Ort nicht unterstützt, sondern
verhindert und bürokratisiert wird. Hier muss sich sehr
schnell etwas ändern, sonst laufen Ehrenamtliche weg.
Und ganz persönlich gefragt: Was haben Sie selbst davon?
Wenn ich ehrenamtlich Kirche mitgestalten darf, habe ich
die Chance sie so zu gestalten, dass ich mich wohlfühle und
dass wir einladend für Andere werden. Dies haben wir in den
letzten Jahren geschafft mit neuen Formaten wie pray n grill
(Kurzandacht mit Bratwurst hinterher in einem Privatgartenoffen
für alle) oder Abendgottesdiensten mit anschließendem
Abendbrot. Die Begegnung mit Gott und mit meinen Mitmenschen
tut mir gut, und dafür bin ich sehr gern bereit, mich
weiter einzubringen.